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Betreuungsrecht: Zur Frage, ob die Aufwandsentschädigung eines Betreuers auf das ALG II angerechnet werden darf.

Sozialgericht Cottbus, 20.08.2014, Az.: S 2 AS 3428/12

Sachverhalt: Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung von Arbeitslosengeld II für November 2011 und die Erstattung von 296,00 €. Strittig ist die Anrechnung einer Aufwandsentschädigung, die die Klägerin als Betreuerin des 1988 geborenen, schwerbehinderten B hält.

Der Beklagte gewährte mit Bescheid vom 10. Februar 2011 in der Fassung der Bescheide vom 24. Februar 2011, 30. März 2011 und 21. Juni 2011 für die Zeit vom 1. bis zum 30. November 2011 der 1956 geborenen Klägerin 307,32 € und dem 1963 geborenen Kläger 285,70 € Arbeitslosengeld II. Aus den mit dem Weitergewährungsantrag vorgelegten Kontoauszügen ergab sich, dass die Klägerin jährlich eine Betreuungsaufwandsentschädigung von 323,00 € erhält.

Aus einem am 19. Januar 2012 der Beklagten vorgelegten Kontoauszug war ersichtlich, dass die Klägerin auf ihren Antrag vom 1. August 2011 am 4. Oktober 2011 pauschal 323,00 € Aufwandsentschädigung erhalten hatte.

Nach Anhörung vom 20. Januar 2012 hob der Beklagte mit zwei Bescheiden vom 31. Januar 2012 das für November 2011 gewährte Arbeitslosengeld II teilweise auf und gewährte der Klägerin 230,62 € und dem Kläger 214,40 €. Gleichzeitig forderte er von beiden jeweils 148,00 € erstattet. Die dagegen erhobenen Widersprüche wies er mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 11. Mai 2012 als unbegründet zurück.

Die Kläger haben am 13. Juni 2012 und 14. Juni 2012 zu dem Sozialgericht Cottbus jeweils Klage erhoben. Sie meinen, die steuerfreie Aufwandsentschädigung sei eine zweckbestimmte Einnahme und nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen. Auch sei die Zahlung bereits bei Leistungsbewilligung bekannt gewesen. Zudem hätten andere das Geld auch nicht zurückzahlen müssen.

Das Gericht hat beide Klagen mit Beschluss vom 6. November 2013 verbunden.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 31. Januar 2012 jeweils in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. Mai 2012 aufzuheben sowie die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen sowie die Berufung zuzulassen.

Er meint, die Aufwandsentschädigung sei nur insoweit nicht als Einnahme anzurechnen, wie sie dem Ersatz von Auslagen dienen soll. Dem habe man mit den Absetzbeträgen nach § 11b SGB II hinreichend Rechnung getragen. Diese Aufwandsentschädigung sei so wie Entschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten in kommunalen Gremien zu behandeln.

Im Übrigen wird auf die Gerichts- von Verwaltungsakten verwiesen.

Sozialgericht Cottbus: Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Sie verletzen die Kläger in ihren Rechten.

Sie lassen sich nicht auf § 40 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), § 330 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III), § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) stützen.

Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ab Änderung der Verhältnisse unter anderem aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3), oder der Betroffene wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist (aus Nr. 4). Gemäß § 45 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist – auch nachdem er unanfechtbar geworden ist – nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. § 48 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig war und erst durch eine nachträgliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen rechtswidrig geworden ist. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab (BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R, Rn. 17). Wegen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 und 3 SGB III ist diese Rechtsfolge jeweils zwingend.

Hier ist nicht § 45 SGB X anwendbar. Denn die gewährenden Bescheide waren nicht anfänglich rechtswidrig. Ein endgültiger Bescheid ist zwar anfänglich rechtswidrig, wenn typischerweise der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 SGB III eröffnet ist, dass heißt vorläufig zu gewähren ist (BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R, Rn. 18). Dieser Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung, insbesondere der Einkommenssituation besteht.

Der typische Anwendungsbereich des § 328 Abs. 1 SGB III ist nicht eröffnet. Unabhängig davon, ob es ermessensfehlerfrei möglich wäre, wegen einer voraussichtlichen Einnahme von einmalig 323,00 € für 6 oder mehr Monate das Arbeitslosengeld II vorläufig zu gewähren, ist dies kein Fall, in dem typischerweise vorläufig zu gewähren ist. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier der 25. Juni 2011, als der letzte gewährende Bescheid vor der streitigen Teilaufhebung erlassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt sprach zwar viel dafür, dass der Klägerin auch in diesem Jahr 323,00 € zufließen werden. Es war aber nicht absehbar, in welchem Monat. Dafür musste die Klägerin erst den Antrag stellen und anschließend die Behörde gewähren und auszahlen. In der Mehrzahl der Gewährungsmonate ist das Einkommen der Klägerin (die Rente) sicher zu prognostizieren.

Es fehlt für eine Aufhebung nach § 48 SGB X an einer wesentlichen Änderung. Eine Änderung kann in den tatsächlichen oder in den rechtlichen Verhältnissen eintreten, es kann aber auch eine Änderung der Bewertungsgrundsätze vorliegen. Bei einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen kommt es nur auf tatbestandsrelevante innere und äußere Tatsachen an.

Der Zufluss der Aufwandsentschädigung ist zwar eine tatsächliche Änderung, aber keine tatbestandsrelevante. Eine Änderung ist tatbestandsrelevant, wenn sie Einfluss auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat. Der Zufluss führt zu einem geringeren Anspruch, wenn die Aufwandsentschädigung gemäß § 11 Abs. 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen ist. Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.

Die Aufwandsentschädigung ist eine der in § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II genannten Einnahmen. Dies sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten, anderen Zweck als Arbeitslosengeld II erbracht werden.

Die Aufwandsentschädigung beruht auf einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift. Eine Vorschrift ist öffentlich-rechtlich, wenn sie einen Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung als solchen ermächtigt oder verpflichtet.

Anspruchsgrundlage für die Aufwandsentschädigung eines Betreuers sind §§ 1908i, 1835a Abs. 3 BGB. Danach kann der Betreuer die Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse verlangen, wenn der Betreute mittellos ist.

Die Staatskasse ist Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung. Es ist der Staat als solcher verpflichtet, ohne dass ein konkreter Träger benannt ist. Der Anspruch richtet sich direkt und ausschließlich gegen ihn; im Gegenzug erhält er durch einen gesetzlichen Forderungsübergang (§ 1836e BGB) den Anspruch des Betreuers gegen den Betreuten. Dass der Staat hier nicht für den Betreuten im Rahmen dessen zivilrechtlicher Verpflichtung tätig wird, zeigt sich auch daran, dass der Betreute kein Beschwerderecht gegen die Entscheidung hat (Palandt, 67. Auflage, Rn. 17 zu § 1835).

Das Verfahren ist mit Antrag und Bewilligung öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Die Aufwandsentschädigung bei mittellosen Betreuten ist an das System der Sozialhilfe angelehnt. Mittellos ist ein Betreuter, wenn er den Anspruch des Betreuers auf Aufwendungsersatz aus seinem einzusetzenden Einkommen und Vermögen nicht oder nicht sofort aufbringen kann, § 1836d BGB. Das einzusetzende Einkommen und Vermögen bestimmt sich gem. § 1836c BGB nach den §§ 87 bzw. 90 SGB XII.

Die Aufwandsentschädigung dient einem anderen Zweck als das Arbeitslosengeld II. Ihr Zweck ist die Abgeltung des Anspruchs auf Aufwendungsersatz (§ 1835 BGB). Ersetzt werden die zum Zwecke der Führung der Betreuung gemachten Aufwendungen. Ersatzfähige Aufwendungen sind etwa Fahrtkosten, Telefon- und Kopierkosten, Porto und die Kosten einer Betreuerhaftpflichtversicherung (siehe im Einzelnen nur Diedrichsen in Palandt, 67. Auflage 2008, Rn 9 ff. zu § 1835). Solche Aufwendungen sind nicht Teil des Lebensunterhaltes im Sinne des § 9 SGB II. Die dafür zu verwendenden Mittel können nicht zur Absicherung des Existenzminimums eingesetzt werden.

Die pauschale Aufwandsentschädigung nach § 1835a BGB wird nicht dadurch zu einer Kompensation für die aufgewandte Arbeitszeit – und hätte damit den gleichen Zweck wie das Arbeitslosengeld II –, weil sie das Neunzehnfache des Höchstbetrages der Entschädigung für eine Stunde versäumter Arbeitszeit für einen Zeugen beträgt. Diese Berechnungsmethode dient der Anpassung der Pauschale an die wirtschaftliche Entwicklung. Zweck der Aufwandsentschädigung nach § 1835a BGB ist aber derselbe wie der des Aufwendungsersatzes nach § 1835 BGB.

Die Aufwandsentschädigung ist auch nicht deshalb zu berücksichtigen, weil ihr kein konkreter, nachgewiesener Aufwand für die Betreuung gegenübersteht. Auf die Frage, ob tatsächlich Aufwendungen in Höhe der Entschädigung entstanden sind, kann es wegen der pauschalierenden Gewährung der Aufwandsentschädigung nicht ankommen. Wie das BSG (Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R) festgestellt hat, soll auch pauschal gewährter Ersatz für Aufwendungen keinen Einfluss auf das Arbeitslosengeld II haben.

Bei der Aufwandsentschädigung für Betreuer sind nicht nur die Absetzbeträge nach § 11b SGB II abzuziehen und den überschießenden Betrag als Einkommen zu berücksichtigen.

Das Gericht schließt sich insoweit der Argumentation der Entscheidung des BSG zu den Entschädigungen von Stadträten und Ortsbürgermeistern in Sachsen (Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R) an. Die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Aufwandsentschädigungen sind aber anders zusammengesetzt und daher anders zu berücksichtigen als die Aufwandsentschädigung für Betreuer. Ein Anteil der Entschädigungen von Stadträten und Ortsbürgermeistern in Sachsen soll den Verdienstausfall ersetzen und ein Anteil den mit der Wahrnahme des Kommunalmandats verbundenen tatsächlichen Aufwand (pauschal) abgelten. Der Anteil für den Verdienstausfall hat den gleichen Zweck wie das Arbeitslosengeld II. Er dient der Sicherung des Lebensunterhalts (wegen des Ausfalls anderweitiger Erwerbsmöglichkeiten).

Durch die grundsätzliche Anrechnung der Entschädigung als Einkommen und das Absetzen der Beträge nach § 11b SGB II wird der Anteil für den Verdienstausfall als Einkommen im Sinne des SGB II berücksichtigt, der Anteil für die Aufwandsentschädigung fließt nicht in die Berechnung des Arbeitslosengeld II ein.

Diese Differenzierung ist bei der Aufwandsentschädigung für den Betreuer nicht notwendig. Sie soll insgesamt nur Aufwendungen abdecken. Eine Vergütung – und damit eine Kompensation für die aufgewandte Arbeitszeit – erhalten nur berufsmäßig tätige Betreuer nach § 1836 BGB. Die Klägerin führt die Betreuung unentgeltlich und erhält nur die Aufwandsentschädigung nach § 1835a BGB.

Die Aufwandsentschädigung für Betreuer ist auch deswegen nicht wie die Entschädigung von Stadträten und Ortsbürgermeistern in Sachsen zu behandeln, weil die Aufwandsentschädigung jährlich und nicht monatlich gezahlt wird. Sie soll nicht nur den in einem Monat anfallenden Aufwand abdecken, sondern den Aufwand für ein ganzes Jahr. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift wären aufgrund der jährlichen Zahlungsweise die Absetzbeträge für ein ganzes Jahr zu berücksichtigen. Diese würden die Aufwandsentschädigung deutlich übersteigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung ist zugelassen, weil es zur Berücksichtigung einer Aufwandsentschädigung für Betreuer keine veröffentlichte Rechtsprechung gibt und sich das Urteil des BSG vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 93/10 R – so verstehen lässt, dass eine Aufwandsentschädigung, die zur Abgeltung bestimmter Auslagen gezahlt wird, als Einkommen anzurechnen ist (so wohl Schmidt in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, Rn. 19 zu § 11a; anders wohl Geiger in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, Rn. 9 zu § 11a)

Quelle: Sozialgericht Cottbus