IMPRESSUM

Betreuungsrecht: Zum Beschwerderecht von Angehörigen, die als Betreuer entlassen wurden.

Bundesgerichtshof, 09.02.2011, Az.: XII ZB 364/10

Sachverhalt: Die Beteiligte zu 2, die Schwester des Betroffenen, wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen ihre Entlassung als Betreuerin.

Die Beteiligte zu 2 wurde mit Beschluss des Betreuungsgerichts vom 19. März 2009 zur Betreuerin für den Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Gesundheitssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Sozialversicherungsträgern, Kranken- und Pflegeversicherung sowie Lebenshilfe bestellt.

Mit Beschluss vom 21. Januar 2010 hat das Betreuungsgericht die Beteiligte zu 2 als Betreuerin entlassen und die Beteiligte zu 1 zur berufsmäßigen Betreuerin des Betroffenen bestellt. Die von der Beteiligten zu 2 hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 7. Juli 2010 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 2 mit ihrer – vom Beschwerdegericht nicht zugelassenen – Rechtsbeschwerde.

Bundesgerichtshof: Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da sie gemäß § 70 FamFG i.V.m. Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG unstatthaft ist.

Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts auch ohne Zulassung u.a. in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers sowie zur Aufhebung einer Betreuung statthaft.

Hier hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde weder zugelassen, noch liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde vor.

1. Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleich lautende Definition des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die dort genannten Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung, weil durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für Betreuungssachen mit besonders hoher Eingriffsintensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten einen zulassungsfreien Zugang zum Bundesgerichtshof schaffen wollte, folgt aus der Verknüpfung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897 Rn. 8 mwN).

Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers im Sinne der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsverfahren handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme, also der §§ 1896 ff. BGB, anordnet (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897 Rn. 9). Die besonders hohe Eingriffsintensität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der Bestellung des Betreuers zugleich die Anordnung der Betreuung selbst einhergeht. Denn § 1896 BGB unterscheidet nicht zwischen Anordnung der Betreuung und Bestellung eines Betreuers; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897 Rn. 10; MünchKomm-BGB/Schwab 5. Aufl. § 1896 Rn. 126).

2. Demgegenüber bezieht sich die hier in Rede stehende Norm des § 1908 b Abs. 1 BGB, die die Rechtsgrundlage für die Entlassung des Betreuers darstellt, nur auf diejenigen Fälle, in denen bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen werden soll (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 166/10 – FamRZ 2010, 1897 Rn. 17). Die Entlassung des bisherigen Betreuers berührt also nicht den Fortbestand der Betreuung als solche (Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1908 b Rn. 1). Dieses Verfahren wird deshalb auch nicht von den §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst (ebenso Müther in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 70 Rn. 25; vgl. auch Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 5. Aufl. § 70 FamFG Rn. 11, wonach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG Fälle, in denen die Frage nach der Person des Betreuers im Vordergrund steht, nicht erfasst; aA Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 271 Rn. 2; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 2. Aufl. § 271 Rn. 3); vielmehr fällt es unter die Auffangnorm des § 271 Nr. 3 FamFG.

3. Da die Entlassung des Betreuers gemäß § 1908 b BGB nicht die Aufhebung der Betreuung nach sich zieht, kommt auch eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. FamFG nicht in Betracht.

4. Soweit sich die Rechtsbeschwerde auf § 271 Nr. 3 FamFG beruft, ist ihr zwar zuzugeben, dass diese Norm auch den Fall der Betreuerentlassung nach § 1908 b BGB und die damit korrespondierende Bestellung eines neuen Betreuers nach § 1908 c BGB erfasst. Sie verkennt indes, dass § 271 Nr. 3 FamFG von § 70 Abs. 3 FamFG, der die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde regelt, nicht in Bezug genommen wird.

Quelle: Bundesgerichtshof