Bundesgerichtshof, 21.11.2012, Az.: XII ZB 114/12
Die Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung.
Mit Beschluss vom 28. September 2011 hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betroffenen den Beteiligten zu 3 als Betreuer für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Sozialleistungsträgern, Vertretung vor Ämtern und Behörden und Widerruf von Vollmachten bestellt. Über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung sollte bis spätestens zum 28. September 2018 entschieden werden. Auf die Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Landgericht nach Anhörung der Betroffenen den Beschluss des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass es den Beteiligten zu 3 von der Betreuung der Betroffenen entbunden und den Beteiligten zu zum Betreuer bestellt hat. Die weitergehenden Beschwerden hat es zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, bei der Betroffenen bestehe Bedarf für eine Betreuung in den festgesetzten Aufgabenkreisen. Dies ergebe sich zum einen aus dem nervenärztlichen Fachgutachten des Dr. H. vom 18. Juli 2011. Dieser habe ausgeführt, bei der Betroffenen bestünden erhebliche kognitive Defizite, wobei eine dementielle Entwicklung mit organischer wahnhafter Störung vorliege. Es seien deutliche Lücken im Kurzzeitgedächtnis sowie im Intermediärgedächtnis vorhanden. Dies beeinträchtige das Kritik- und Urteilsvermögen der Betroffenen, welches als eingeschränkt zu bezeichnen sei. Daneben bestünden bei der Betroffenen auch körperliche Einschränkungen, wie Osteoporose, Glaukom und eine Gangstörung unklarer Genese. Nach Einschätzung von Dr. H. werde das Betreuungsbedürfnis aufgrund des Alters und der Spezifik der Störung auf Dauer fortbestehen. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 angeführt habe, dass sich mit dem Absetzen eines Medikamentes auf Anraten ihres Arztes der Zustand der Betroffenen verbessert habe, möge dies so sein. Dennoch lasse gegenwärtig der geistige und 3 körperliche Gesamtzustand der Betroffenen eine Aufhebung der Betreuung nicht zu.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Nach § 1896 BGB bestellt das Betreuungsgericht für einen Volljährigen, der aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer.
Im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in die Freiheitsrechte, der mit einer Betreuerbestellung verbunden ist, erfordert die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Betreuung eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuerbestellung (Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 1). Gemäß § 26 FamFG ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2012 – XII ZB 584/11 – FamRZ 2012, 1210 Rn. 6). Dazu gehört, dass sich der Tatrichter davon überzeugt, dass das seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruht.
Diesen Anforderungen wird die von den Instanzgerichten durchgeführte Sachverhaltsermittlung nicht gerecht.
Der Sachverständige Dr. H. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Betroffene örtlich, zeitlich und zur Person recht gut orientiert sei. Es finde sich aber bei ihr eine dementielle Entwicklung, die in Bezug auf ihr nahestehende Menschen mit wahnhaften Inhalten (Unterstellung von Diebstählen) einhergehe. Hinzu kämen Lücken hinsichtlich des Kurzzeit- und Intermediärgedächtnisses. Darüber hinaus sei die Betroffene im Gehen beeinträchtigt und es bestehe eine Fallneigung.
Soweit der Sachverständige und ihm folgend das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass die Betreuungsbedürftigkeit durch die wahnhaft organische Störung mit verursacht sei, fehlt es an einer hinreichenden Aufklärung des zugrunde gelegten Sachverhalts. Im Hinblick darauf, dass der Diebstahlsverdacht der Betroffenen gegen ihr nahestehende Personen zu der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und zur Durchführung einer Hausdurchsuchung geführt hat, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Verdacht um eine wahnhafte Vorstellung der Betroffenen gehandelt hat.
b) Darüber hinaus hat das Beschwerdegericht auch keine Feststellungen zu dem Fehlen eines freien Willens der Betroffenen getroffen.
Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Stimmt – wie hier – der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zu, so ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschlüsse vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 13 und vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10 – FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Be-10 troffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Das Beschwerdegericht äußert sich zu der Frage, ob die Betroffene zu einer freien Willensbildung in der Lage ist, nicht. Auch aus dem vom Beschwerdegericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Gutachten des Sachverständigen Dr. H. ergibt sich nicht, ob die Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage ist. Feststellungen dazu, ob die Betroffene wegen ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für ihre Lebensgestaltung zu erkennen, hat der Sachverständige nicht getroffen.
Da die Betroffene die Bestellung eines Betreuers ablehnt, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu § 1896 Abs. 1 a BGB keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für sie objektiv vorteilhaft wäre (Senatsbeschluss vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 19). 14 3. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben; das Verfahren ist an das Landgericht zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen zur Betreuungsbedürftigkeit und bejahendenfalls zum Fehlen eines freien Willens der Betroffenen zurückzuverweisen.
Quelle: Bundesgerichtshof