Bundesgerichtshof, 22.01.2014, Az.: XII ZB 632/12
Gründe: I. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens für den 76-jährigen Betroffenen eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitsfürsorge sowie der Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin bestellt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Nach den Feststellungen des Sachverständigen leide der Betroffene an einem organischen Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten und dem Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung. Aufgrund dieser psychischen Erkrankung sei er nicht mehr in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen und “entsprechend dieser Einsicht” seine von der Bestellung des Betreuers umfassten Angelegenheiten zu besorgen. Für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten bestünde Betreuungsbedarf, weil der Betroffene krankheitsbedingt erforderliche Therapien nicht in Anspruch genommen habe und ihm eine adäquate Strukturierung seines Umfelds nicht möglich sei.
An der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen bestünden keine Zweifel. Der langjährig erfahrene Sachverständige habe nachvollziehbar und in sich schlüssig die tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens dargelegt und Art sowie Ausmaß der Erkrankung des Betroffenen ausführlich dargestellt. Seine Feststellungen zum reduzierten Pflegezustand des Betroffenen und zur erheblichen Verwahrlosung und Vermüllung seiner Wohnung seien durch den Hausarzt, die Mitarbeiterin der sozialen Beratungsstelle und durch den persönlichen Eindruck des Betreuungsrichters anlässlich seiner Anhörung bestätigt worden.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
Zwar hat das Beschwerdegericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei eine psychische Erkrankung des Betroffenen und das Bestehen eines objektiven Betreuungsbedarfs in den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten bejaht. Hingegen rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass die Feststellungen des Beschwerdegerichts zum Ausschluss der freien Willensbestimmung nicht in vollem Umfang den rechtlichen Anforderungen genügen.
a) Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene – wie hier – der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor.
Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10 – FamRZ 2011, 630 Rn. 8 und vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 14 f.).
Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2009, 152; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1896 Rn. 13).
Die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschlüsse vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 16 und vom 16. Mai 2012 – XII ZB 584/11 – FamRZ 2012, 1210 Rn. 11; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 27; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1896 Rn. 13).
Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers auf einer nach den vorgenannten Maßstäben freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (Senatsbeschluss vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11 – FamRZ 2012, 869 Rn. 19 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht in vollem Umfang gerecht.
Zwar enthält das Sachverständigengutachten Aussagen dazu, dass “der Betroffene seinen Willen im Bereich der Gesundheitsfürsorge sowie in Bezug auf die Bestellung eines Betreuers nicht frei … bestimmen” und in Bezug auf Wohnungsangelegenheiten sowie auf die Erledigung des Behördenverkehrs einen “natürlichen Willen” nicht bilden könne, so dass “die Einrichtung einer Betreuung entgegen des Wunsches des Betroffenen aus medizinischer Sicht empfohlen” werde. Andererseits hat der Sachverständige die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nicht bezweifelt und bei “ausgeglichener Grundstimmung” keine Bewusstseinsstörungen und (lediglich) leichte Einschränkungen der Gedächtnisfunktionen, der Auffassungsgabe und der “konzentrativen Fähigkeiten” festgestellt. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers mit der Begründung abgesehen, dass der Betroffene sich selbst zur Betreuung äußern und seine Interessen im Verfahren selbst wahrnehmen könne.
Jedenfalls bei einer solchen Sachlage durfte das Beschwerdegericht seine Feststellungen zum Unvermögen der freien Willensbildung aufseiten des Betroffenen nicht allein auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen stützen. Der Umstand, dass der Betroffene objektiv notwendige Hilfen im Zusammenhang mit der Regelung seiner Wohnsituation (“Vermüllung”) und im Bereich der Gesundheitssorge (“mangelnde Compliance”) nicht in Anspruch nehmen will, mag Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein, die gleichzeitig eine ansatzweise realistische Einschätzung der eigenen Defizite und eine darauf gegründete Abwägung der für und gegen die Betreuung sprechenden Gesichtspunkte ausschließt. Zwangsläufig ist diese Schlussfolgerung im vorliegenden Fall aber nicht. Es hätte – gegebenenfalls durch eine ergänzende Befragung des Sachverständigen – weiterer Aufklärung zu der Frage bedurft, ob die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen und seine damit verbundene Entscheidung, Angelegenheiten betreffend die Wohnsituation und die Gesundheitssorge unerledigt zu lassen, auf einer freien Willensbestimmung beruht (§ 26 FamFG; vgl. auch OLG Köln FGPrax 2006, 117).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Quelle: Bundesgerichtshof