IMPRESSUM

Betreuter verklagt Vereinsbetreuer und Betreuungsverein auf Schadensersatz

OLG Koblenz, Urteil vom 11.12.2009, 8 U 1274/08

Einführung: Der Fall und die beteiligten Parteien

In diesem Rechtsstreit klagt der Kläger auf Schadensersatz gegen den Beklagten zu 1., einen Betreuungsverein, und den Beklagten zu 2., einen Vereinsbetreuer, der als Angestellter des Beklagten zu 1. tätig war. Der Kläger, ein heute 32-jähriger Mann, leidet an einer angeborenen Lernbehinderung, die ihn daran hindert, seine Vermögensangelegenheiten selbst zu regeln. Der Kläger wurde von 1997 bis 2004 vom Beklagten zu 2. in Fragen der Vermögenssorge betreut.

Im Mittelpunkt des Streits steht der Vorwurf, dass der Betreuer seine Pflichten im Umgang mit einem Sparkassenbrief in Höhe von 100.000 DM, den der Kläger von seinem Vater geerbt hatte, verletzt habe. Der Kläger behauptet, dass durch die Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. und die mangelnde Aufsicht durch den Beklagten zu 1. der Wert des Sparkassenbriefs an die Mutter des Klägers überging und ihm so ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden sei.

Hintergrund: Erbschaft und Umschreibung des Sparkassenbriefs

Nach dem Tod des Vaters des Klägers im Jahr 1995 erbte dieser gemeinsam mit seiner Mutter zu gleichen Teilen das Vermögen, darunter einen Sparkassenbrief im Wert von 200.000 DM. Am 18. Januar 1996 unterzeichneten der Kläger und seine Mutter eine Erklärung, die den Sparkassenbrief auf den Namen der Mutter umschrieb. Dies geschah ohne dass der Kläger, aufgrund seiner Lernbehinderung, in der Lage war, die Tragweite dieser Handlung zu verstehen.

Schon früh wurde deutlich, dass der Kläger Unterstützung bei der Verwaltung seines Erbes benötigte. Die N.-Werkstätten, in denen der Kläger arbeitete, regten die Einrichtung einer Betreuung an, die schließlich zu der Bestellung des Beklagten zu 2. als Betreuer im Bereich der Vermögenssorge führte. Durch eine ärztliche Begutachtung wurde festgestellt, dass der Kläger ohne Unterstützung sein Leben in finanziellen Angelegenheiten nicht selbstständig regeln könne.

Die Rolle des Betreuers: Pflichtverletzung und ihre Folgen

Der Beklagte zu 2. nahm im Februar 1997 seine Tätigkeit als Betreuer auf. Zu diesem Zeitpunkt war der Sparkassenbrief bereits auf die Mutter des Klägers umgeschrieben worden. Obwohl der Sparkassenbrief in einem vom Beklagten zu 2. erstellten Vermögensverzeichnis vermerkt war, unternahm er keine Schritte, um die Rückübertragung des Briefes in die Verfügungsgewalt des Klägers oder der Erbengemeinschaft zu erwirken. Stattdessen verblieb der Sparkassenbrief im Besitz der Mutter, was letztlich dazu führte, dass sie sich nach Fälligkeit im Jahr 1999 das gesamte Sparguthaben in Höhe von 256.803,20 DM auszahlen ließ und es für eigene Zwecke verwendete.

Das Vormundschaftsgericht wies den Beklagten zu 2. mehrmals darauf hin, dass nur er als Betreuer in der Lage sei, eine Rückübertragung des Sparkassenbriefs zu verlangen. Trotz dieser Aufforderungen unterließ es der Betreuer, das Vermögen des Klägers zu schützen. Dies führte zu dem finanziellen Schaden, den der Kläger nun geltend macht.

Der Vorwurf der Pflichtverletzung: Was hätte der Betreuer tun müssen?

Das Landgericht stellte in seinem Urteil fest, dass der Beklagte zu 2. seine Pflichten als Betreuer verletzt habe. Er hätte sicherstellen müssen, dass der Sparkassenbrief wieder in die gemeinsame Verfügungsgewalt der Erbengemeinschaft fiel und nicht im alleinigen Besitz der Mutter verblieb. Weder der Wunsch des Klägers noch der seiner Mutter hätten diese Entscheidung rechtfertigen können, da es offenkundig war, dass die Mutter nicht als zuverlässige Treuhänderin für das Vermögen des Klägers geeignet war.

Der Kläger argumentierte, dass er zum Zeitpunkt der Umschreibung des Sparkassenbriefs geschäftsunfähig gewesen sei, was den Betreuer zusätzlich dazu verpflichtet hätte, Maßnahmen zum Schutz des Vermögens zu ergreifen. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger tatsächlich nicht in der Lage war, eigenständig solche finanziellen Entscheidungen zu treffen, und der Betreuer daher seine Pflicht zur Vermögenssicherung vernachlässigt habe.

Berufung: Verteidigung der Beklagten und Entscheidung des Berufungsgerichts

Die Beklagten legten gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein. Der Beklagte zu 2. verteidigte sich damit, dass die Umschreibung des Sparkassenbriefs vor seiner Bestellung als Betreuer stattgefunden habe und er daher keine Möglichkeit gehabt habe, die Übertragung zu verhindern. Er führte außerdem an, dass die Mutter des Klägers Zahlungen an ihren Sohn geleistet habe, die den Wert des Sparkassenbriefs teilweise kompensierten.

Der Beklagte zu 1., der Betreuungsverein, argumentierte, dass ihm kein Verschulden vorzuwerfen sei, da er als Verein lediglich eine übergeordnete Aufsichtspflicht über seine Mitarbeiter habe. Eine direkte Verantwortung für die Pflichtverletzungen des Betreuers bestünde nicht, da der Verein nicht der eigentliche Betreuer gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Haftung des Beklagten zu 2., da dieser seine Pflichten zur Vermögenssorge verletzt hatte. Das Gericht stellte fest, dass der Betreuer aktiv hätte handeln müssen, um den Sparkassenbrief für den Kläger zu sichern. Die Berufung des Beklagten zu 1. war hingegen erfolgreich. Das Gericht entschied, dass der Betreuungsverein nicht für das Verhalten des Betreuers haften müsse, da der Verein nicht selbst als Betreuer bestellt worden war.

Schlussfolgerung: Verantwortung des Betreuers und Haftung des Vereins

Der Fall verdeutlicht die hohe Verantwortung, die ein Betreuer bei der Verwaltung des Vermögens von Personen mit eingeschränkter Geschäftsfähigkeit trägt. Es genügt nicht, die Wünsche des Betreuten oder seiner Angehörigen zu berücksichtigen, wenn diese dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen könnten. Ein Betreuer muss proaktiv das Vermögen seines Schützlings sichern und darf sich nicht auf unsichere Treuhandverhältnisse verlassen.

Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass Betreuungsvereine nur in engen Grenzen für das Verhalten ihrer Mitarbeiter haftbar gemacht werden können. In diesem Fall konnte der Kläger den Betreuungsverein nicht für die Pflichtverletzung des Betreuers verantwortlich machen, da der Verein nur eine eingeschränkte Aufsicht über die Handlungen seiner Angestellten ausübte und nicht direkt in die Betreuungsaufgaben involviert war.

Quelle: Oberlandesgericht Koblenz